Nichtwissen und Sonnenkraft 01

Die Trübungen oder Minderungen

II/3 avidyā-asmitā-rāga-dveşa-abhiniveśā panca-kleśāḥ
Nichtwissen, Ich-Sinn, Zuneigung/Abneigung und Zähigkeit: Das sind die fünf kleśas, die fünf Trübungen
Aus „Acht Stufen – ein Weg – die Yogasūtras des Patañjali“ von Rudolf Fuchs

Vielleicht sollte vorausgeschickt werden, dass Ich-Sinn sowie Zuneigungen und Abneigungen zu unserem Leben gehören und deshalb auch durchaus gelebt werden wollen. Es entsteht mit der Zeit aber manchmal eine Tendenz in Richtung Zähigkeit und Trägheit, und daraus resultierende Probleme lösen sich nicht innerhalb dessen, was Yoga als Nicht-Wissen bezeichnet.

Yoga und die andere Antwort

Wenn eine Suchmaschine uns heutzutage ein Ergebnis für eine Suchanfrage liefert, z.B. auf die Frage wo es in Stuttgart Yoga gibt, wenn analog aufgewachsene Menschen im Lexikon der Frage nachgehen, was ein bestimmter Begriff, z.B. „prāņāyāma“ heißen möge, wenn ein Fremder oder eine Meldestelle uns nach unserem Geburtstag fragen, dann erwarten wir alle zutreffende Antworten. Alle Antworten, auch die zutreffenden, sortiert Yoga ein in  avidyā: Nichtwissen. Wie kann das sein? Es scheint doch richtige oder auch irreführende Antworten auf solche Fragen zu geben?

Ich will den Versuch einer Antwort auf die Frage wagen, was Yoga unter Wissen und Nichtwissen versteht. Wobei das nur andeutungsweise geschehen kann. Denn die eigentliche Antwort ist ein persönliches Erlebnis auf der Yogamatte und kann nicht in Worte gefasst werden. Man kann nur eine Richtung andeuten, und die Richtungsangabe muss vage bleiben.

Wenn Sie einen Physiker nach Sonnenkraft fragen, wird er Ihnen etwas über das Zusammenspiel der starken und schwachen Kernkraft erzählen. Das sind zwei der vier physikalischen Grundkräfte des Universums, die in Gestalt der Sonne Energie an die Erde senden und Leben auf unserem Planeten ermöglichen (Die beiden anderen Grundkräfte sind Gravitation und Elektro-Magnetismus).

Ein Yogin dagegen wird  als Antwort auf Ihre Frage versuchen, mit Ihnen sūrya bhedana zu üben. Sūrya bhedana ist eine Übung, um Sonnenkraft im Bereich des Solar Plexus erfahrbar zu machen. D.h., ein Yogin wird darauf abheben, dass Sonnenkraft zuerst einmal eine Energie und eine Idee in uns ist,  und erst in zweiter Linie nimmt Sonnenenergie materielle Gestalt an und zeigt sich als Stern und als Kraftquelle täglich am Himmel. Die entsprechende Idee formulierte schon J.W. von Goethe: „Wäre das Auge nicht sonnenhaft, es könnte die Sonne nicht sehen“. Das ist natürlich weit von verbürgten und bewiesenen naturwissenschaftlichen Betrachtungen entfernt. (Selbst so einfache Fragen wie die nach dem Datum der eigenen Geburt könnten bei einer solchen Umkehrung der Betrachtungsweise urplötzlich eine andere Dimension bekommen).

Wissen im Yoga

Wissen aus Yoga-Sicht, bezogen auf die oben angeführte 3. Sūtra des zweiten Kapitels von Patañjali, ist also eher ein inneres Erleben und führt aus der Welt der Dinge heraus. Diese Antwort kann aber nur der Versuch einer Richtungsangabe für die eigentliche Antwort sein. Denn auch das direkte Erleben von Sonnenkraft in sich selbst wäre etwas sehr Vergängliches und Vorübergehendes. Vergängliche und vorübergehende Phänomene können aber aus Yogasicht nicht wirklich „Wissen“ genannt werden. Aber immerhin: Wer die Frage nach Wissen und Nicht-Wissen so stellt, hat vielleicht ein direktes Erlebnis von Sonnenkraft. Und wer ein solches Erlebnis hat, stellt die Frage nach Wissen und Nicht-Wissen wieder ganz neu. Und damit befindet er sich dann auf dem Weg und kann sich der eigentlichen Antwort öffnen.