Meditation – Freiheit auch von der Erbse

Vairagya und Dhyana

Prinzessin auf der Erbse und Tiefschlaf

„Jeder Versuch einer Beherrschung, die nicht freiwillig, nicht aus eigener Geisteskraft des Beherrschenden geschieht, ist nicht nur unheilvoll, sondern macht auch das schließliche Ergebnis zunichte. Das Ziel jeder Seele ist Befreiung und Herrschaft, – Befreiung von der Knechtschaft der Materie und des Gedankens, Herrschaft über die äußere und innere Natur.“
Swami Vivekananda, Raja-Yoga S. 87, Bauer-Verlag, 7. Auflage 1983

Menschen zu etwas zwingen zu wollen, sei die Absicht dahinter auch noch so edel, Menschen also zur eigenen Überzeugung oder Weltanschauung zu nötigen, bringt am Ende nur neues Unglück hervor. Yogins sind seit jeher der Überzeugung, dass in jedem Menschen genug Antrieb vorhanden ist, um immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen, bis alle Hindernisse und Trübungen beseitigt sind.

Sie kennen vielleicht alle das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse. Sie, die Prinzessin, schläft schlecht, obwohl ihr ein königliches Lager bereitet wurde. Nur hatte die Königinmutter eine einzige Erbse unter ihre Matratze gelegt. Mit dem Ergebnis, dass der Schlaf nicht erholsam war. Natürlich könnte man das als überkandideltes Wesen einer verzogenen Prinzessin abtun. Die Aussage könnte aber auch anders ausgelegt werden. Dann wäre das Verhalten der Prinzessin ein Gleichnis für den Wunsch unserer Seele, mit nichts weniger als einem königlichen Zustand zufrieden zu sein.

Im Tiefschlaf bleibt nicht ein Gedanke übrig

Unsere Seele bzw. das menschliche Wesen ist so geartet, dass es nur mit wirklicher Freiheit und Beseitigung aller Trübungen zufrieden ist. Alles andere wäre eine Minderung unseres eigentlichen Wesens. Das jedenfalls ist die Auffassung der alten Yogins. Selbst eine Erbse gilt schon als entscheidende Minderung. Vergleichen Sie das Gesagte einmal mit der Auffassung vom Tiefschlaf. Wenn es wirklich Tiefschlaf ist, darf kein Gedanke des Tagesbewusstseins, also auch kein Gedanke von der Wichtigkeit einer einzigen Erbse, übrig bleiben. Sonst ist es nicht Tiefschlaf. Und wenn es nicht Tiefschlaf ist, ist der Schlaf nicht wirklich erholsam.

Dasselbe gilt auch im Zustand der Meditation: solange in unserem Bewusstsein noch ein Gedanke, noch eine Erbse übrig ist, erleben wir noch keine Freiheit des Geistes. Denn dann ist es noch nicht befreiende Meditation (Dhyāna). Und solange sind wir noch nicht zufrieden.

Kein Mensch stellt je sein Glücksstreben ein

Der Mensch sucht ständig weiter, solange er nicht Vairagya (Loslösung) erlebt. Deshalb ist es auch nicht nötig, Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Swami Vivekananda weiß sehr genau, dass jeder Mensch sein Glückstreben nicht einstellt, bevor er nicht wirkliche tiefe Ruhe in sich gefunden hat. Jemanden von außen zu zwingen, seine Gedanken und Wünsche aufzugeben, würde ihn nicht der inneren Freiheit näher bringen, sondern würde ihn im Gegenteil mit neuen Gedanken und Wünschen überladen. Das wäre dann im Ergebnis das Gegenteil von Yoga und Meditation.