Niyama, Asana und Schlaf

Der Glaube an Yogaerfolge durch Körperakrobatik scheint sich mehr und mehr auszubreiten. Das geht bis hin zu der Auffassung, Yoga wäre physiologisch oder neurologisch erklärbar. Um hier Albert Einstein zu zitieren: Probleme lassen sich nicht mit den Denkweisen lösen, die zu ihnen geführt haben. (Poetus.de)

Die unsichtbaren Niyamas

Betrachten Sie einmal Ihr Schlafverhalten: Erzeugt die Körperhaltung die Müdigkeit und erzwingt dann den Schlaf? Oder ist es nicht eher so, dass die Müdigkeit in die Horizontale führt und dadurch dem natürlichen Schlafbedürfnis zu seinem Recht verhilft?

Zu einem kleinen Teil mag es so sein, dass die eine Übung für die Verdauung, die andere Übung  zur Anregung der Schilddrüse gut sein könnte. Asana meint ja aber etwas viel Wesentlicheres als solche physiologischen Wirkungen: Es meint das Anhalten des Körpers und aller körperlichen Ablenkungen, um die Aufmerksamkeit in Atemachtsamkeit umzulenken. Denn auf Asana folgt gesetzmäßig Pranayama (Beherrschung des Atems).

Um aber für den Atem aufmerksam und empfangsbereit zu sein, kennt die Stufe Asana Vorbereitungen. Das sind die sogenannten Niyamas: sauca (Reinigung), samtosa (Zufriedenheit), tapas (Hitze, Glut), svadhyaya (Selbststudium) und isvara pranidhana (Hingabe). Scheinbar bleiben diese Vorbereitungen in den meisten Hatha-Yoga-Stunden hierzulande außen vor. Wirklich direkt geübt werden sie wahrscheinlich selten. Aber sie sind natürlicherweise Teil des Übens. Denn sonst würden wir in Asana stecken bleiben, und das Wesentliche, das Meditative und vermeintlich Rhythmisierende des Atems, käme nicht zum Tragen.

Ziehen wir die Analogie des Einschlafens heran

Sie kennen wahrscheinlich das angenehme Gefühl eines frisch gemachten Bettes, wenn Sie sich abends nach dem Zähneputzen hinlegen. Mit sauca (Reinigung) ist aber mehr gemeint. Sauca zielt auf die Loslösung von gedanklicher Beschäftigung, das Zurücklassen von Gefühlen, Aufregungen, Absichten und Plänen. Wird die Gedankenaktivität mehr und mehr vermindert, spüren wir, so meinen die Yogins, zunehmend Entspannung (samtosa). Aus der Entspannung heraus hätte dann (z.B. am Abend nach einem ausreichend langen Tag) die Müdigkeit (Tapas) eine Chance, sich in den Vordergrund zu spielen. Tapas meint zwar ursprünglich Hitze oder Glut des Übens. Ich nenne es einfach die Kraft der Verwandlung. Und bezogen auf das Einschlafen besteht die Kraft der Verwandlung aus der machtvoll werdenden Müdigkeit. Wenn Sie jetzt noch beim Einschlafen wissen, dass die Haustür abgeschlossen ist, die Gegend als sicher gilt, Sie Ihre Dinge für diesen Tag geregelt haben und gleichzeitig wissen, dass Einschlafen ja etwas ganz Natürliches ist und es mit dem Aufwachen bis jetzt eigentlich immer auch funktioniert hat, dann wäre svadhyaya (Selbststudium) in dem Fall auch ausreichend genüge getan. Jetzt käme es, folgt man der Analogie des Yogaübens, nur noch auf Eines an: Hingabe (isvara pranidhana). Hingabe hieße dann in diesem Fall sich wie so oft vertrauensvoll dem Schlaf zu überlassen.

Nicht viel anders sieht die Sache auf der Übungsmatte aus. Nur ist die Ausrichtung eine andere. Es geht nicht in den Schlaf, es geht in die wache Ruhe der Meditation. Die vielen Körperhaltungen dienen dazu, den Niyamas ausreichend Raum zu geben. Um sich mit jeder Asana von neuem hingebungsvoll dem Atem anzuvertrauen.

Natürlich könnten Sie auch auf die Macht und Kraft der richtigen Körperhaltung setzen. Aber denken Sie einmal an die Tage zurück, an denen Sie abends keine Ruhe gefunden haben. Wie sehr hätte Ihnen da allein eine sogenannte richtige (Schlaf-)Haltung geholfen?

Schlussbemerkung: Es geht und es ging aus Yogasicht in diesem Text nicht darum, notwendige therapeutische Maßnahmen bei Schlafstörungen zu ersetzen. Es geht im Gegenteil gerade im Yoga darum den Blick für das Ganze zu bewahren und nicht Einzelaspekte wie Körperhaltung isoliert herauszugreifen.